2013 Nov 08 - Wir kommen und wir gehen...

Montag. 4. November

Ich bekomme einen Anruf von der Band.
»Hallo Karin, hast Du am Freitagmittag Zeit für einen Auftritt?«
- »Ja, sieht ganz gut aus« (Sollte man nie voreilig sagen)

Ich bekomme die E-Mail-Adresse und Telefonnummer und setze mich mit der Kontaktperson in Verbindung.  
    
Es ist die Urnenbeisetzung einer Frau in einem Friedwald.

Nein, es mehr als eine reine Urnenbeisetzung, es ist eine Tragödie. Eine Liebesgeschichte mit unendlich schlimmem Ausgang.

Der Witwer wünscht sich anfangs zwei, später drei Lieder und wir vereinbaren die Stücke. Ich höre die Verzweiflung in seiner Stimme. Nur 51 Jahre alt wurde seine Frau.
Himmel, wie mir der Mann leid tut.
Der Alltag kehrt wieder ein, die Tage gehen hin.

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Freitag, 8. November   

Ich kann endlich einen Morgen ausschlafen und mache das wie lange nicht mehr. Ich schlafe bis fast 10 Uhr morgens, insgesamt 11 Stunden - herrlich.
Kaffee, Dusche, schminken und Kilt anziehen. Die Pipe ist gerichtet und muss nur eingepackt werden. Meine Gedanken sind ständig bei der anstehenden Aufgabe. Was erwartet mich?

Das Navi sagt mit 1,5 Stunden und die benötige ich auch. Das letzte Stück geht den Berg aufwärts Richtung Friedwald. Ich fahre zwei Kilometer vor dem Ziel eine Parklücke an, packe Bonnie aus und beginne zu spielen. Ich stimme sie und spiele nochmals ein wenig, bis ich mit dem Klang zufrieden bin. Draußen ist es kühl, es regnet leicht.  

Ich bin gut in der Zeit, als ich oben ankomme. Der Witwer kommt auf mich zu, ich spreche ihm mein Beileid aus. So verzweifelt sieht er aus. Er zeigt mir den Platz der Bestattung. Dazu fahren wir gemeinsam noch ein Stück den Berg hoch und gehen dann einen etwa fünf minütigen Weg bis zum Baum.

Vor dem Baum wurde das Urnengrab ausgehoben, das außen herum mit Tannenzweigen verziert wurde. Er schaut hin und ich denke, gleich bricht er zusammen. Es ist mir ein Bedürfnis ihn zu trösten und eigentlich fällt er mir in den Arm.
»Wir gehen jetzt weg von hier. Nachher kommen wir wieder«, sage ich und ziehe ihn mit mir weg.    

Wir laufen zurück, er erzählt und das scheint ihn für den Moment ein wenig zu befreien.
Das Paar war 31 Jahre lang glücklich verheiratet. Eines Sonntag morgens stehen die Beiden auf, blödeln noch herum, frühstücken und sie geht ins Bad - und fällt tot um.
Nur 51 Jahre alt, Lungenembolie.

Er erzählt mir von seinen verzweifelten Wiederbelebungsversuchen. Später versuchte auch der Notarzt noch sein Bestes. Die Frau hatte keine Chance.

Wir sind beim Auto und eigentlich möchte ich ihn zum Treffpunkt fahren. Er will lieber über die Wiese laufen, braucht die Zeit und so warte ich. Es ist windig, aber der Regen hat aufgehört.

Ein anderes Auto kommt. Der Schwiegersohn bringt Pater N. Der Pater lacht mich an und kommt mir sofort entgegen. Er sprüht vor Charisma, streichelt meine Wange und ehe ich mich versehe, drückt er mich.
»Jetzt muss ich Dich erst mal in den Arm nehmen. Wie heißt denn Du?«      
- »Karin und ich spiele heute Dudelsack«
»Wie lange spielst Du schon Dudelsack?«
- »Noch nicht sehr lange, aber ich hoffe, dass ich meine Aufgabe gut erledige«
»Ich weiß, dass Du gut spielen wirst«

Da ich jetzt den Baum kenne, führe ich die Beiden an. Vom Weg geht es dann etwa 15 Meter abwärts, quer über bemoosten Waldboden. Wir bleiben zuerst oben stehen und warten bis die Trauergesellschaft kommt.
Der Pater ist aus Beuron und eine Wucht, ich mag ihn sofort. Er erzählt mir fröhlich von seiner Mami die mit ihren 93 Jahren »...auch gerade sterbelet«.

»Jetzt spiel ein Lied nur für mich«, fordert mich der Pater auf.   
 »Lobe den Herren« kann ich nicht auf der Pipe. Aber da stehen wir Beide einfach mitten im Wald und ich spiele dem Pater »Highland Cathedral«. Er hat die Augen geschlossen, findet es schön.

»Darf ich auch mal pusten?«, fragt er. Klar, darf er das und auch wenn er keinen Ton aus der Pipe bringt, er freut sich wie ein kleines Kind. Wir unterhalten uns noch eine Weile, bis ich die Leute kommen sehe.

Das ist mein Signal mit dem Spiel zu beginnen.
An dieser Stelle habe ich mich für »O Luaidh - My dearest Dear« entschieden. Ich glaube, es ist das traurigste Liebeslied der Welt. Ich emfinde es einfach nur als passend.


"My Dearest  dear the time has come when you and I must part,
And no one knows the inner grief of my poor aching heart,
Or what I suffer for your sake, the one I love most dear
I wish that I could go with you or you could tarry here.


I wish my breast were made of glass where in you might behold,
Your name in secret I have writ in letters of fine gold,
Your name in secret I have writ, believe me when I say,
That you are the one I will adore until my dying day.

The blackest crow that ever flew would surely turn to white,
If ever I prove  false to you bright day would turn to night,
Bright day would turn to night my dear, the elements will mourn,
If ever I prove false to you the seas will rage and burn

So when you’re on some distant shore think on your absent friend,
And when the wind blows high and clear, Oh a line or two pray send,
And when the wind blows high and clear pray send it love, to me,
That I may know by your hand writ how time has gone with thee."



Die Leute versammeln sich um den Baum, ich stehe etwas abseits, aber so, dass Blickkontakt mit dem Witwer und dem Pater möglich ist. Ein Bild mit Fotografien der Verstorbenen erinnert an sie. Ein hübsche lebenslustige Frau ist da drauf.

Pater N. spricht, betet und singt mit den Leuten. Dann bin ich wieder an der Reihe und ich spiele »Dark Island«, langsam und kraftvoll. Der Witwer erzählt von seinen Erinnerungen, lässt eine Spieluhr laufen, alle gedenken der Toten. Schluchzen und weinen, Trauer aber auch große Liebe beherrschen den Ort mitten in der Natur. 

Dann wird es regelrecht mystisch, es ist wie im Film. Der Witwer hält die Urne dem Pater hin, der den Segen spricht. Genau in diesem Moment rauscht eine Windböe durch die Bäume. Ich bin nicht die Einzige die das bemerkt, alle Leute schauen auf. War das nun Zufall?         

Der Witwer legt die Urne an ihren letzten Bestimmungsort und ich stimme »Amazing Grace« an, während er mit seinen Töchtern das Urnengrab mit den Händen mit Erde und all ihrer Liebe und Trauer füllen.

Gut, dass Pater N. noch einige Worte spricht, betet und singt.
Nach einer Weile geht er los, der Pater. Ich gehe zu ihm, wir reichen uns die Hand und helfen uns gegenseitig wieder den Berg hoch.

- »Soll ich noch ein Lied spielen?«, frage ich Pater N., weil ich denke, es ist passend.
 »Unbedingt Mädle, mach das«, sagt er.

Ich spiele zwei Mal »On Erins green shore«, ehe ich mich auch auf den Weg mache. Jetzt nehmen die engsten Angehörigen nochmals Abschied.

Vorne treffe ich den Pater wieder. Weil es doch kühl ist, setzen wir uns in mein Auto und warten auf die Leute. Er erzählt mir von einer anderen Bestattung in einem Friedwald, weniger würdevoll.

Pater N. hat abends noch eine Versammlung. Ich selbst habe noch einen Termin mit einem Geschäftsmann und anschließend - was für ein Kontrast - ein Kabarett.

Eiskalt geht das Leben weiter.



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